Ok, das sind grosse Worte. Warum soll der kleine Kia EV3 die Neuheit des Jahres sein? Ich konnte das Auto im Rahmen eines Events in Zürich bereits 2024 stehend betrachten. Das Packaging schien mir in Verbindung mit den Leistungsdaten, dem Preis und dem Design einfach sehr überzeugend. Dieser Eindruck ist bis heute nicht gewichen. Doch nun steht der EV3 für einen ausgedehnten Test bereit.
Auto-Tipp: Kia EV3
Die Koreaner schaffen beim EV3 optisch den Spagat, einerseits futuristisch, neuartig und speziell zu wirken, gleichzeitig aber auch sympathisch und gefällig. Es ist kein aggressives Design, sondern eines, das neugierig macht. Neugierig auf ein kompaktes Elektroauto mit einer grossen Akkukapazität und Platz für die Familie. Im Wissen, wie Kia bereits mit dem EV6 und EV9 abgeliefert hat, sind die Erwartungen an den lindengrünen Neuling entsprechend gross.
Futuristisches Design: Der Kia EV3 in Aventurine-Grün
Die Farbe heisst übrigens Aventurine und ist nach einem grünlichen Quarzit benannt. Steht dem Kompakten unheimlich gut und sieht ein bisschen nach Concept Car Style aus. Die typische Tigernase hat sich hier in eine karosseriefarbige Spange verwandelt, die mit den weit aussen liegenden Scheinwerfern für einen stämmig wirkenden Auftritt sorgt. Der Eindruck täuscht nicht, das Auto ist 1,85 Meter breit. Die schwarz abgesetzten Radläufe dominieren zusammen mit dem ebenfalls schwarzen Einsatz an der C-Säule die Seitenansicht. Sie sorgen für einen modernen, SUV-artigen Look. Eine grosse Bodenfreiheit wird durch schwarze Schweller suggeriert, tatsächlich liegt sie mit 14 Zentimeter im ganz normalen Bereich. Hinten sorgen die an Sternkarten erinnernden Rückleuchten für eine optische Nähe zum EV9. Der nach hinten gezogene Dachspoiler und der angedeutete Diffusor sehen sportlicher aus, als der Fünftürer sein will.
One-Pedal-Feeling und smarte Rekuperation im EV3
Der Startknopf liegt innen am Getriebelenkstock, was zu Beginn etwas verwirrend sein kann. Dann dreht man den Hebel nach vorne und schon ist die Fahrstufe D gewählt. Verschiedene Fahrmodi lassen sich in der mittleren Lenkradspeiche per Knopfdruck abrufen, wobei ich mich für Sport entscheide. Wie bei Kia üblich, lässt man auch bei der Stärke der Rekuperation die Entscheidung beim Piloten. Via Lenkradpaddel kann man sie während der Fahrt anpassen. Aber Achtung, hier fahren die Koreaner nämlich ein ganzes Arsenal an Möglichkeiten auf: Es gibt vier Stufen von 0 bis 3, wobei 0 praktisch Segeln bedeutet und 3 eine relativ starke Rekuperation bietet. Jede der vier ist zudem mit dem i-Pedal kombinierbar, das für den One-Pedal-Modus steht und das Fahrzeug bis zum Stillstand kommen lässt. Dazu hat man einen Automatikmodus ersonnen, der das regenerative Bremsen am Verkehrsaufkommen und am Gefälle anpasst. Dann hält der Wagen aber nur an, wenn bereits ein Auto vor ihm gestoppt hat. Die sinnvollste Kombination, nämlich jene aus i-Pedal und Auto, fehlt also. So bleibt i-Pedal mit Level 3 Rekuperation mein Favorit.

Komfort im Kia EV3
Mit 204 PS an der Vorderachse ist man gut aber nicht speziell sportlich motorisiert, der von anderen Elektroautos bekannte Kick in den Rücken gibt es hier nicht zu spüren. Die Leistungsabgabe fällt also nicht ganz so unmittelbar aus. Das passt ganz gut zum eher loungeartigen Innenraum, wo ein kleines Ausziehtischchen zwischen den Vordersitzen fast schon zum Fast-Food-Futtern im Auto auffordert. Ob es sich gelohnt hat, für dieses harte Stück Plastik auf ein zentrales Fach mit Deckel als Armstütze zu verzichten? Wohl eher nicht. Dafür ist der Relaxmodus der Sitze nett: Ein Knopfdruck fährt das Gestühl in die entsprechende Position, wobei zur ultimativen Entspannung eine Fussstütze fehlt. Dafür passt die Beleuchtung. Kia bietet nämlich nicht nur verschiedene Ambientefarben, sondern weist den entsprechenden Kombinationen auch noch gewisse Fähigkeiten wie Entspannung oder Aktivierung zu.
Kurvenkünstler mit Gelassenheit
So richtig aktiviert habe ich den Kia EV3 auf der Fahrt ins Engadin. Am Julierpass zeigt sich schnell, dass 204 PS trotz 1885 Kilo Lebendgewicht locker ausreichen. Die Lenkung ist angenehm direkt, das Fahrwerk eher auf der knackigeren Seite, der Übergang von Rekuperation zur Bremse sehr sanft. Zudem ist die Übersicht gut, so dass die Kurvenfahrt Spass macht. Es ist eher der Magen der Beifahrerin, der dem allzu dynamischen Treiben schliesslich ein Ende setzt. Also dann eher etwas gemütlich den Klängen aus den Harman/Kardon-Boxen lauschen und mit genügend Restreichweite oben ankommen. Hat ja auch etwas für sich. Den von der Bordnavigation empfohlene Ladestopp in Thusis hätte es übrigens nicht zwingend gebraucht, auf der Passhöhe wären ohne Pause immer noch 14% in der Batterie gewesen. Trotzdem gut, dass das System mitdenkt und uns vor einem möglichen Blackout im weissen Nichts geschützt hat.
Die Assistenzsysteme im Alltag
Auf der längeren Fahrt gibt es auch genügend Gelegenheiten, sich von den anderen (Assistenz-)Systemen zu überzeugen. Generell ist man hier eher übervorsichtig. Dadurch piepst ständig irgendetwas. Alles lässt sich ausschalten, ist aber nach einem Neustart dann wieder an. So warnt der Aufmerksamkeitsassistent, der mich mit seinen „Augen“ auf der Lenksäule stetig beobachtet, sehr früh bei etwas längerem Blick ab von der Strasse. Der Spurhalteassistent macht sich ebenso akustisch bemerkbar wie der Tempolimitwarner. Zusätzlich gibt es noch einen weiteren Piepton, wenn sich das Tempolimit ändert. Am Ende führt diese Überdosis dann dazu, dass man den Assistenten dann zu wenig Aufmerksamkeit schenkt.

Der EV3 im Raumvergleich
Die Aufmerksamkeit der potenziellen Kundschaft dürfte sich aber eher auf andere Bereiche konzentrieren. Gegenüber der Konkurrenz fällt der EV3 nämlich vor allem durch seine angenehm luftigen vier Plätze auf. Der fünfte ist wie bei allen Autos dieser Grösse nur für Kurzstrecken zum empfehlen. Das Kofferraumvolumen liegt mit 460 Liter deutlich über jenem des VW ID.3 (385L) oder des Volvo EX30 (318L). Dazu gibt es vorne einen sehr kleinen Frunk (25L), der mit einem Ladekabel dann schon komplett gefüllt ist. Gegenüber der erwähnten Konkurrenz ist er mit 4,3 Meter um etwa 5 Zentimeter länger. Die Plätze in Reihe 1 sind naturgemäss die grosszügigsten. Auf den Kunstledersitzen wird es mir nie unbequem, Sitzheizung und Lordosenstüze bringen zusätzlichen Komfort. Im Sommer würde man sich bestimmt auch an der vorne verbauten Sitzkühlung erfreuen.

Topausstattung vs. Basismodell: So viel kostet der EV3 wirklich
Etwas weniger erfreut bin ich nach dem Blick auf die Preisliste. Natürlich kommt der Testwagen in der Topausstattung GT-Line, doch 54’100 Franken bleiben eine steile Ansage. Wobei man auch hier im Bereich der angepeilten Mitbewerber liegt. Die 7 Jahre Garantie sind immer ein Pluspunkt. Und der EV3 hat wirklich alles an Bord, was man sich in dieser Klasse vorstellen kann. Eigentlich sogar noch etwas mehr, wie zum Beispiel die Sitzheizung auf den Rücksitzen oder die halbautomatische Spurwechselfunktion. Wer ohne die luxuriösesten Goodies und mit der kleineren Batterie auskommt, bekommt den EV3 als schneeweissen Air für 36’950 Franken. Dann hat man immer noch Dinge wie die Rückfahrkamera, die 2-Zonen-Klimaautomatik, das Navigationssystem oder kabelloses Android Auto und Apple CarPlay sowie diverse andere Features an Bord.
So fährt sich der EV3 im Alltag
Immer dabei ist der grosszügige Innenraum, das praktische Gepäckabteil und die relativ simple Bedienung über den breiten Touchscreen. Das frische Design, die angenehmen Sitze und der kleine Frunk natürlich auch. Die bequemen Netz-Kopfstützen gibt’s allerdings nur im GT-Line. Die Topversion hat sich als auf dem Engadin-Trip als passender Begleiter erwiesen. Am Schnelllader wurden bis zu 114 kW erreicht – nahe am theoretischen Maximum von 128 kW. Und wie viel Strom wurde verbraucht? Auf den über 1000 Testkilometern konsumierte der EV3 20,5 kWh auf 100 Kilometer. Somit liegt die Reichweite aber bei immer noch sehr praxistauglichen 400 Kilometern. Wie ich das sehe, kann Kia sich also durchaus damit brüsten, mit dem neuen EV3 die Neuheit des Jahres 2025 im Angebot zu haben.