Alpine A110R im Test: Rennstrecken-Feeling und Komfort im Alltag vereint
Sitzbeinhöcker, schon mal gehört? Wer zum ersten Mal und ohne sonderlich viel Aufmerksamkeit in die Alpine A110R einsteigt wird ihn sicher spüren. Und zwar auf die schmerzhafte Art. Die Sitzwangen ragen auch im Hüftbereich hoch auf und sind dermassen hart, dass man das Einsteigen besser gut übt, wollte man den Sportler tatsächlich im Alltag bewegen. Ok, wenn man einmal drin sitzt, ist es erstaunlich bequem. Dabei lässt sich die Neigung des Sitzes allenfalls mit Werkzeug, die Höhe gar nicht verstellen. Egal, wir sind ja schliesslich nicht (oder eben nur) zum Spass hier.
Ich habe in der schärfsten Variante des Alpine-Modellprogramms Platz genommen. R steht für Racing, klar. Die ohnehin nicht an Fettleibigkeit leidende A110 wurde nochmals leichter gemacht. Wie? Natürlich mit dem Einsatz von Carbon. Die Haube, das Dach und die Sitze bestehen aus dem teuren Fasermaterial. Gegen Aufpreis backen sie sogar die Räder aus Kohlefaser. Dies war bei besagtem Testexemplar zum Glück nicht der Fall. Obendrauf gibt es einen festen Heckspoiler an Schwanenhalsaufhängung, einen Frontsplitter und Sideskirts aus Carbon. Sieht richtig rennwagenmässig aus und steht dem Leichtgewicht hervorragend. Abgespeckt hat man so übrigens fast 35 Kilo auf 1080 kg Leergewicht. Es hört nicht auf mit dem schwarzen Gold: Der nach hinten verlängerte Diffusor besteht ebenfalls aus Kohlefaser. Dazu wurde der Unterboden komplett verkleidet. Ganz klar, der R soll Track Tool und nicht Bahnhofsrundenspielzeug sein.
Dazu trägt auch die Bereifung bei. Die Michelin Pilot Sport Cup 2 sollen auf der Rennstrecke nochmals massive Vorteile bringen. Doch bekanntlich gibt es hier in der Schweiz keine Rennstrecke. Also ab auf die nächste Landstrasse? Fast. Zunächst gilt es, eine Autobahnetappe sicher zu überstehen. Nicht ganz einfach, denn in der Aufzählung oben fehlt tatsächlich noch ein Carbonteil, nämlich die Heckscheibe. Nur ging mit ihr die hervorstechendste Eigenschaft von Glas verloren, die Durchsichtigkeit. Somit entfällt auch der Innenspiegel, woran ich mich sicher irgendwann gewöhnen würde, allerdings nicht allzu schnell. Also ist für genügend Rücksicht auch ordentlich Vorsicht angebracht. Der Blick nach hinten ist versperrt, jener über die Schulter bringt auch nicht viel und die Seitenspiegel sind klein geraten.
Ebenfalls nicht riesig ist der Motor, es bleibt beim 1,8-Liter Vierzylinder mit 300 PS, wie es ihn bereits in der S-Version gibt. Dort gibt es noch normale Gurte, hier nur die Sechs-Punkte-Variante. Und die sollte man sich eng anschnallen. Denn dank Gewindefahrwerk liegt die Sportvariante nochmals 10 Millimeter tiefer, was in Kurven ordentliche Querdynamik verspricht. Auf der Landstrasse angekommen, kann sie genau das beweisen. Tatsächlich hält die A110R viel besser, als man das bei den relativ schmalen Reifen (vorne 215, hinten 245) denken würde. Immer vorausgesetzt, es ist trocken und die Reifen warm. Beides hat dann für die geplante Passfahrt leider nicht so recht passen wollen. Nach mehreren Tagen mit 30° und mehr, meinte es das Wetter an jenem Sonntag nicht gut mit den Petrolheads. Aber was soll’s, dann sind die Pässe dafür umso weniger bevölkert.
Als Aufwärmübung gibt’s den Brünigpass mit seiner gerade mal 1000 Meter über Meer liegenden Passhöhe. Die Alpine fühlt sich wohl, die langgezogenen Bögen liegen ihr ebenso wie enge Kehren. Das Taktile zeichnet auch diese Alpine aus, die Lenkung ist perfekt in Sachen Rückmeldung und Präzision, das Pedalgefühl ist unglaublich natürlich. Ähnliches könnte man höchstens in einem Lotus erleben. Im Sportmodus passt auch die Gangwahl des Automatikgetriebes bestens. Der Doppelkuppler mit seinen 7 Gängen lässt sich auch manuell über Lenkradpaddel steuern. Netterweise gibt es das überlaute Schubblubbern nur im Sportmodus, womit man die Nachbarn bei Bedarf auch schonen kann. Am Fusse des Grimselpasses zeigt sich dann ein erstes Mal die Feuchte von ihrer fiesen Seite. Beim Herausbeschleunigen schmiert das Heck überraschend früh weg, der Puls springt auf 180. Also meiner, nicht der des Autos. Denn: Grundsätzlich bleibt die Alpine gut beherrschbar, ein wacher Geist hilft aber definitiv. Also eine Prise mehr Gefühl im Gasfuss und schon klappt es.
Wer es weniger mit dem Gefühl hat, feuert die Alpine bei Höchstdrehzahl in den nächsten Gang, untermalt von einem Geräusch, das man am ehesten aus dem Rennsport kennt. Schön würde ich es nicht nennen, aber ernsthaft schon. Die R ist eben nicht zum Spielen da. Das merkt man ja auch am Preis. Konfiguriert man sie so wie den Testwagen, steht unten rechts folgende Zahl: 117’700. Schaut man sich im gleichen Konfigurator den Preis für das Basismodell an, kann einem schon schwindlig werden. Der liegt nämlich bei 69’000 Franken.
Schwindlig könnte es auch dem Passagier am Furka werden, wenn denn einer mit mir im Auto wäre. Am pittoresken Belvedere vorbei schraubt sich die Strasse in den Himmel. 2429 Meter sind doch mal eine Ansage. Das schmale Asphaltband ist reichlich onduliert, eine starke Hand am Lenkrad gehört zum Programm. Eigentlich fehlen nur noch ein paar Tunnels für das Glück des Solofahrers. Nochmal den Akrapovic-Fanfaren lauschen? Yes, please! Wie gesagt, kein schöner Klang, aber ein faszinierender allemal.
Zurück auf dem Boden der Tatsachen oder besser gesagt: auf der Autobahn. Hier fragt man sich manchmal schon, weshalb zwei USB-A-Dosen (statt C oder induktivem Ladegerät) 2024 noch ausreichen sollen. Oder weshalb der Cupholder so weit hinten liegt, dass während der Fahrt kaum an Trinken zu denken ist. Kabelloses Apple CarPlay führt immerhin zu brauchbarer Navigation. Das Focal-Audiosystem kommt wie das Auto aus Frankreich und spielt in der Topliga. Bei aller Leichtigkeit will man auf gute Musik dann doch nicht verzichten. Verzicht will schliesslich schon beim Gepäck geübt werden. Vorne und hinten zusammengezählt stehen nicht einmal 200 Liter an Gepäckraum zur Verfügung. Vorne ist dieser zudem so flach, dass man wohl am besten seine Vinyl-Sammlung einpackt.
Wenn er dann wieder einlenkt wie kein anderes Auto heutzutage, ist alle Kritik vergessen. Auch die Bremse beisst so zu, wie man es aufgrund des spärlichen Gewichts erwarten würde. Und sowieso kann man sich im Falle eines Falles immer den Verbrauch in Erinnerung rufen. Bei halbwegs normalem Verhalten kann man diesen locker unter 10 Liter halten, mit Zurückhaltung sogar unter 9. Der Komfort ist im aushaltbaren Bereich, die Sitze sind tatsächlich auch für einen 3-Pässe-Trip inklusive Autobahnanteil und exklusive Pausen sehr bequem. Der Ein- und Ausstieg ist es dagegen nicht.
Aber was soll’s, am Ende fasziniert mich die Alpine A110R mit ihrem Wesen. Das wunderbare Mattblau (Aufpreis 6500 Franken!) mit den Carbonteilen schaut einfach unverschämt gut aus. Die Form ist auch nach 6 Jahren Bauzeit noch taufrisch. Und so selten wie man eine Alpine antrifft, so gross ist ihr Effekt auf allfälliges Publikum. Das ist kein sportliches Coupé oder ein Hot Hatch, nein eben ein echter Sportwagen. Fast schon ein Supercar im Taschenformat. Mit 4,20 Meter Länge und 1,80 Meter Breite ist die Französin erfreulich kompakt geblieben. Das empfiehlt sich auch für alle angehenden Piloten. Oder dann zumindest Yoga, erstens wegen der Beweglichkeit und zweitens, weil man dort auch lernt, was der Sitzbeinhöcker ist.
P.S. Wer nicht gerade im Lotto gewonnen hat, ist mit der ganz „normalen“ A110 bestens bedient.