Die berühmteste St. Gallerin
Auch als Luzerner kenne ich die berühmte Olma Bratwurst. Und es ist auch weit über die St. Galler Grenzen hinaus bekannt, dass Senf einer Entweihung des kulinarischen Heiligtums aus der Ostschweiz gleichkommt. Aber wieso eigentlich? Ich nutze einen Tag an der 72. Olma Messe und mache mich auf Spurensuche – und erlebe die wohl beste Bratwurst der Welt. Ein Erlebnisbericht.
Ganz ehrlich: morgens um 10.00 Uhr krieg ich keine Bratwurst runter. Dass dies für andere überhaupt kein Problem ist, zeigt sich bereits, als ich das Olma-Messegelände betrete. Mit der wohl berühmtesten Schweizer Wurst in der einen und einem Bürli in der anderen Hand, schlendern viele Besucher bereits am Morgen durch die Stände. Manch einer gönnt sich auch ein Gläschen Weisswein oder ein Schnäppschen. Anscheinend gehört das zur Olma. Mit Wurst und Wein stärkt man sich hier für einen erlebnisreichen Messe-Tag.
1,3 Olma Bratwürste pro Besucher
Darauf angesprochen, sagt ein junges Pärchen mit breitem Ostschweizer Dialekt: «Da ghört halt zu dä Olma. Die cha me do immer ässe – egal um weli Zit. Süst gits bi üs aber scho kai Brodwurscht zum Zmorge.» Die beiden lächeln sich an, stupsen ihre Würste wie bei einem Toast aneinander und verschwinden in einer Halle.
Die Olma Bratwurst am Morgen ist also nichts Ungewöhnliches. Im Gegenteil: Sie istdas Symbol der grössten Landwirtschafts- und Ernährungsmesse der Schweiz und wohl die berühmteste St. Gallerin überhaupt. Der Legende nach gibt es sie bereits seit dem 14. Jahrhundert und das Rezept habe sich seither kaum verändert. Diese Wurst ist viel mehr als nur eine Wurst. Sie ist ein Kulturgut, ein Wahrzeichen. Sprechen die Einheimischen über ihre Olma Bratwurst, könnte man meinen, sie sei sogar eine Art Religion. An der Olma gehört es deshalb zum guten Ton, eine Bratwurst zum Frühstück zu verzehren, meist auch noch eine zweite zu späterer Stunde.
Dass die grosse St. Galler Bratwurst zum Olmabesuch gehört wie das Holdrio zur Luzerner Fasnacht zeigen auch die eindrücklichen Zahlen: Durchschnittlich werden etwa eine halbe Million Olma Bratwürste während der Messe vertilgt. Bei 375’000 Besuchern (Stand 2014) macht das 1,3 Würste pro Person. Und immer ohne Senf, versteht sich.
«Olma Bratwurst mit Senf ist wie Rindsfilet mit Ketchup»
Ich bleibe vorerst bei Kaffee. Trotzdem will ich jetzt endlich wissen, was es denn genau auf sich hat mit dem Senf-Verbot für das kulinarische Heiligtum aller St. Galler. An einer Ecke treffe ich Walter, ein älterer Herr mit grauem Schnauz und hellblauem Schwinger-Hemd. Ein waschechter St. Galler, der, wie er sagt, seit über 30 Jahren treuer Besucher der Olma ist. Er muss es ja wissen!
Auf die Frage, weshalb man diese Wurst nicht mit Senf essen darf, reagiert er zunächst verhalten. Nach kurzem Überlegen und einem Schlückchen Weisswein schiebt Walter seine Unterlippe nach vorne und lässt die Krumme in seinem Mund vom einen Winkel in den anderen schnellen. «Luäg Bürschtli, da isch ganz eifach.» Er macht eine Pause, kneift die Augen zusammen und nippt nochmals am Wein. «Üsi Brodwurscht isch eifach die bescht.» Pause. Nippen. «Da isch wie wenn du es guets Rindsfilet mit Ketschöp würsch ässe. Da macht me eifach nid. Verstahsch?» Ich nicke. Er nippt.
Und wenn ich nun mal Ketchup zum Filet mag? Ist doch meine Sache wie ich mein Fleisch esse? «Jo da chasch du scho. Bisch eifach en Banause, wenn da machsch. Du chasch dini Wurscht scho mit Senf ässe, aber muesch di nid wundere wenn usglacht wirsch. Verstohsch Bürschtli?» Walters Blick wendet sich von mir ab und ich verstehe zumindest, dass er alles zum Thema gesagt hat. Zeit weiterzuziehen.
Danke für dieses Stück Kultur
Das Gerede über die heilige Wurst lässt mich hungrig werden. Jetzt um halb zwölf macht auch mein Magen mit und ich begebe mich zu einem der unzähligen Wurststände. Für 7.00 Franken gibt’s die originale, 160 Gramm schwere Olma Bratwurst zusammen mit einem Bürli. Nächstes Jahr soll sie übrigens 50 Rappen mehr kosten.
Hergestellt wird sie aus Kalbs- und Schweinefleisch, Milch sowie verschiedenen Gewürzen wie Salz, Pfeffer oder Muskatblüte. Senf gibt’s keinen. Und obwohl ich ein bekennender Wurst-mit-Senf-Esser bin, muss ich ehrlich sagen: den Senf braucht’s nicht. Sie schmeckt vorzüglich, würzig und rauchig. Die wohl beste Bratwurst der Welt. Oder zumindest der Schweiz.
Danke liebe St. Gallerinnen und St. Galler für dieses Stück Kultur. Es wird nicht meine letzte Olma Bratwurst an diesem Tag bleiben.
Autor: Dominic Graf