Insbesondere Personenwagen (PW) werden seit Jahrzehnten immer schwerer. Das geht nicht nur zulasten des Energieverbrauchs, sondern kann für Unfallgegner fatale Folgen haben. Um neue Generationen an Fahrzeugen leichter zu machen, ist vor allem die Industrie gefragt.
Luxus und Sicherheit: Wieso Personenwagen so schwer sind
Was Fahrzeuge anbelangt, leben wir definitiv in schwergewichtigen Zeiten. Das lässt sich nicht nur aus Tabellen ablesen, sondern zeigt sich im Aufwand, um die Gewichtszunahme zumindest in Grenzen zu halten. Was heute in den Fahrzeug-Entwicklungsabteilungen betrieben wird, hätte man noch vor wenigen Jahren eher in Konstruktionsbüros für Luft- oder Raumfahrt vermutet.
Allen voran müssen hier moderne Verbundwerkstoffe genannt werden. Was hier genutzt wird, ist längst über klassisches GFK (glasfaserverstärkter Kunststoff) hinausgewachsen.
Wir sprechen von innovativen und besonders leichten Hightech-Schichtwerkstoffen. Ausgangsbasis sind oft hochbelastbare Bauteile aus Textilmaterialien, genannt „Faser-Preforms“. Sie bestehen aus hochzugfesten Fasern (etwa Kohlefaser), die durch CNC-Stickmaschinen auf einen Träger aufgebracht werden. Dabei orientiert sich der Faserverlauf exakt an den vorberechneten Krafteinwirkungsachsen.
Werden diese Halbzeuge zu fertigen Bauteilen ausgefertigt, entstehen deshalb Elemente, deren Steifigkeit jene anderer Materialien deutlich übertrifft – die aber dennoch deutlich leichter sind. Hightech pur, obwohl streckenweise „nur“ in einem durchschnittlich ausgestatteten Kleinwagen genutzt.

Dieser Aufwand ist hauptverantwortlich dafür, dass die PW-Gewichtszuwächse zuletzt etwas moderater ausfielen – die Kurve flacht sich ab. Das führt uns zu einer zentralen Frage: Warum wurden Personenwagen so überaus schwergewichtig und von welchen Massen sprechen wir?
So viel vorweg, der Gewichtszuwachs gilt für alle Fahrzeugklassen. Am Beispiel VW Golf zeigt sich das überdeutlich:
- Golf I: 750 bis 805 kg
- Golf IV: 1‘050 bis 1‘477 kg
- Golf VI: 1‘217 bis 1‘541 kg
- Golf VIII: 1‘255 bis 1‘630 kg
Letztendlich hat sich das Gewicht des Modells über die bisherigen acht Generationen hinweg also etwa verdoppelt. Kein Einzelfall und auch kein besonders grosses Wachstum. Zumal der Radstand nur um etwa 20 Zentimeter anstieg; die Breite lediglich um zirka 18 Zentimeter.
Für diese Entwicklung gibt es mehrere Gründe:
- Das Durchschnittsgewicht aller PW stieg, weil zuletzt immer mehr grosse, schwere SUV-Baureihen hinzukamen. Wog ein neuer PW in der Schweiz im Jahr 1996 noch durchschnittlich 1‘309 kg, waren es 2023 bereits 1‘782 kg.
- Die Fahrzeugkonstruktionen wurden durch mehr Masse in der Karosserie erheblich steifer. Somit wurde der passive Unfallschutz deutlich erhöht.
- Assistenz- und Unterhaltungssysteme samt einer pro PW mehrere Kilometer langen Verkabelung zählen heute zur üblichen Grundausstattung.
- Die Geräuschdämmung wurde immer ausgefeilter. Sie lässt sich fast ausschliesslich durch massereiche Materialien sicherstellen.
- Bei Hybriden und vollelektrischen PW kam die Batterie als schwergewichtiges Einzelelement hinzu. Je nach Fahrzeugklasse wiegt sie zwischen zirka 200 und 750 Kilogramm.
Natürlich spielt der Kauftrend zu allgemein grösseren Personenwagen eine wichtige Rolle. Doch die Gewichtszunahme ist ebenfalls der erheblich gesteigerten Sicherheit, mehr Ausstattungselementen und bei elektrischen Fahrzeugen zusätzlich dem Batteriegewicht geschuldet.
Das Problem daran: Mehr Masse wirkt sich auf viele relevante Faktoren aus. Ein schweres Auto entwickelt mehr kinetische Energie. Zwar ist es für seine Insassen sicherer, für andere Verkehrsteilnehmer erhöhen sich jedoch die Risken bei einem Unfall. Ebenso erhöht das Gewicht den Kraftstoff- bzw. Stromverbrauch.
Die Schwierigkeit liegt darin, dass es nicht einfach nur damit getan ist, verstärkt kleinere Wagen anzubieten – oder beispielsweise SUV ganz zu verbieten, wie es manche fordern. Hier ist die Industrie gefragt und da unter anderem die Materialentwicklung.

Der lange Weg weg vom Karosserieblech
Würden Personenwagen heute immer noch aus ähnlich dicken Stahlblechen gefertigt, wie sie vor Jahrzehnten genutzt wurden, dann lägen heutige Durchschnittsgewichte der Fahrzeuge bei deutlich über zwei Tonnen. Dass dem nicht so ist, liegt an zwei wichtigen, aber stark unterschiedlichen Herangehensweisen:
- Computerberechnete, komplexe Formgebungen. Zusammen mit hochfesten Stahllegierungen können dadurch erheblich dünnere, leichtgewichtigere, aber dennoch feste Bauteile entstehen.
- Völlig andere Materialien; insbesondere aus dem Bereich Kunststoffe. Hier herrscht durch die deutlich grösseren Möglichkeiten der Chemie das wesentlich grössere Entwicklungspotenzial.
Schon heute lässt sich das sehen: Vielfach ist bei hauchdünn ausgewalzten Blechteilen die Grenze des Machbaren erreicht. An ihre Stelle treten immer häufiger unterschiedlichste Kunststoffe, vor allem abseits des tragenden Fahrzeugkerns. Damit einher geht ebenso ein Aus für klassische Verschraubungen. Die Zukunft liegt bei leichtgewichtigen Verklebungs- sowie Kunststoffschweisstechniken.

Gigacasting: Innovative Verfahren beim Aluminiumguss
Normalerweise besteht eine Rohkarosse aus mehreren grösseren Stahlblech-Baugruppen; meist sind sie verschweisst. Sie werden ihrerseits wiederum aus kleineren Blechteilen gefertigt. Mit dieser Bauweise gibt es klare Einschränkungen für eine Gewichtsreduktion.
Neue Verfahren eröffnen hier ganz neue Möglichkeiten. Unter dem Stichwort „Megacasting“ oder „Gigacasting“ werden immer häufiger ganze Karosseriebaugruppen in einem Arbeitsschritt per speziellem Hochdruckverfahren aus Aluminium gegossen. Die Prozesse sind technisch sehr anspruchsvoll.
Erst seit Beginn der 2020er kommt Gigacasting in der PW-Fertigung zum Einsatz. Den Anfang machte Tesla; mittlerweile zogen mehrere andere Autohersteller nach. Für eine „Schlankheitskur“ künftiger Fahrzeuggenerationen hat das Prinzip deutliche Vorteile.
Gussverfahren gestatten eine deutlich freiere Formgebung als es mit klassischen Blechumformtechniken möglich wäre. Hinzu kommt das ohnehin niedrigere Gewicht der verwendeten Aluminium-Legierungen. Da die Baugruppen grösser und „aus einem Guss“ sind, fallen zudem viele Verbindungspunkte ersatzlos weg.
Das bedeutet letztlich: Stahlblech ist im PW-Bereich mittel- bis langfristig ein Auslaufmodell. Die tragenden Teile werden immer stärker auf komplex geformtes Guss-Aluminium setzen, während für die Beplankung moderne (Faser-)Kunststoffe Verwendung finden.

Das Ende des Ausstattungswachstums?
Seit Beginn des modernen Automobilbaus war eine Tatsache unumstösslich: Jede neue Fahrzeuggeneration wies mehr Ausstattungsdetails auf als die Vorgänger. Ob sich dieser Trend noch allzu lange halten kann, ist jedoch fraglich.
Denn schon seit einigen Jahren finden kaum noch revolutionäre Neuerungen statt. Durch die zunehmende Digitalisierung lässt sich auch im Entertainment-Segment kaum Neues bringen, was noch im Einklang mit den Gesetzen steht (Stichwort Ablenkung des Fahrers).
Im Bereich Komfort gibt es daher immer weniger innovative Neuerungen. Für das Gewicht künftiger Fahrzeuggenerationen ist das positiv zu sehen. Mehr sinnvolle Features sind kaum denkbar. Umgekehrt wünschen immer mehr Kunden wieder simplere Fahrzeuge – nicht zuletzt aus Gründen der Anschaffungs- und Reparaturkosten.
Gleichzeitig sind viele Hersteller auf dem Weg, die bestehenden Features leichter zu machen. Hier ist einmal mehr Tesla zu nennen. 2019 meldete das Unternehmen ein Patent an, das die digitalen und elektronischen Elemente radikal zusammenfasst und vereinfacht. Ohne Funktionalitätsverluste lassen sich damit allein die Gesamtlängen der Kabelstränge (von, wie erwähnt, normalerweise mehreren Kilometern) auf Werte im unteren dreistelligen Meterbereich bringen.
Ob sich das durchschnittliche Gewicht von Personenwagen nochmal in die Nähe einer Tonne bewegt, statt an zwei, mag fraglich sein. Sicher ist jedoch, dass sich die Massen kaum noch bedeutend erhöhen werden.