Es hätte eigentlich ein ganz gemütlicher erster Advent werden sollen. Die ganze Familie war zusammengekommen, wie es seit Jahr und Tag Tradition ist, im Hause Steiner.
Doch in diesem Dezember sollte alles anders kommen und der Familienfrieden auf eine harte Probe gestellt werden. 
Das Ganze begann völlig unspektakulär im Wohnzimmer bei Tee und Guetzli. Grossvater Prof. Steiner und Frau Liselotte versanken im Halbschlummer in ihren riesigen Sesseln. 
Jonas, der gerade erst aus dem Geschäft gekommen war und auch in diesem Jahr wieder keine Freundin vorweisen konnte, musste noch telefonieren. Das tat er zwar flüsternd, doch in der kaminwarm-knisternden Stille der Wohnstube störte es trotzdem. Deshalb handelte er sich strafende Blicke seiner Schwester Anita ein. Sie wiederum versuchte, ihrer fünfjährigen Tochter Anna ein Smartphone zu entreissen, ohne zugleich einen Wutausbruch bei der Kleinen zu provozieren. Annas Vater Heinz, ein gelassener Typ mit Hipster-Bart, suchte indes in einem Kostümkatalog nach einem passenden Weihnachtsmann-Kostüm.
Es sah also alles danach aus, als würde auch dieser Erste Advent ganz friedlich und ereignislos ausklingen, wie es jedes Jahr der Fall war. Alles wichtige war ja schon besprochen. Wer zum Weihnachtsfest wann wen wo abholen und mitbringen würde, wer die Gans kaufen, wer sie zubereiten…
Doch da! Ganz plötzlich und aus heiterem Himmel meldet sich die kleine Anna zu Wort, die ja nun nichts mehr zu tun hat, nachdem Mama Anita ihr das Smartphone nahm.
«Mama, weisst Du was? Sybille hat erzählt, ihre Mama sagt, dass sie sich dieses Jahr nichts an Weihnachten schenken.»

Stille

Da scheint es, als höre der Kamin auf zu knistern. Grossvater öffnet langsam eines seiner beiden Augen und schielt damit vorsichtig zu Oma Liselotte, die erschrocken aus ihrem Sessel emporschnellt. Mama Anita blickt schnell und verlegen im Zimmer umher. Schliesslich fasst sie sich ein Herz und fragt ihre Tochter: «Wer ist denn Sybille, mein Schatz?» Hipster-Heinz antwortet, ohne vom Katalog aufzublicken, noch ehe Anna etwas formulieren kann: «Die war doch neulich mal zum Spielen da! Von den Müllers. Die letztes Jahr so oft krank war.» – Anna blickt entrüstet zur Mama: „Du musst doch die Sybille kennen.» Oma Liselotte schaltet sich ein, ehe Mama Anita sich rechtfertigen kann: «Das ist ja traurig, mein Schatz. Das sind bestimmt arme Leute, die Müllers, nicht war?» 
Grossvater öffnet das zweite Auge: «Ist das nicht der Oberstudienrat Müller?» Der Hipster-Papa Heinz nickt dem Grossvater zu und Anita fragt ihre Tochter endlich: «Das ist ja interessant. Weisst Du denn auch, warum?» Doch im selben Augenblick beisst sie sich auf die Lippen. Jetzt lässt sogar Anitas Bruder Jonas das Telefon sinken flüstert gerade noch hinein, er würde sich später nochmal melden. Sein Kopf kippt leicht zur Seite, wärend er seiner Schwester Anita einen strafenden Blick schickt. Als hätte er geahnt, dass diese Frage nur Schlimmeres nach sich ziehen kann. Denn Anna antwortet: «Die Sybille sagt, dass dann alle weniger Stress mit Geschenkekaufen haben und sie ausserdem sowieso nichts brauchen, weil es ihnen ja so gut geht.» – «Ahh!». antwortet Mama Anita. Dann bleibt es still im Raum. Oma Liselotte hat inzischen nahezu panische Gesichtzüge. Sie blickt hilfesuchend zu Grossvater und und flüstert, wobei sie nur die Lippen formt, aber keine Laute aus ihrem Mund tönen: «I c h  h a b e  d o c h  s c h o n …» Grossvater zieht langsam und vorsichtig die Schultern etwas an. Sein Sohn Jonas, drückt sein Handy nun seiner Nichte Anna in die Hand, als würde die sich jetzt noch dafür interessieren.

Doch dann…

«Ich finde das gar keine so schlechte Idee, dann hat man den ganzen Einkaufsstress nicht!» – «Stress ist es doch nur, weil Du immer erst im letzten Moment losgehst!», erwidert Anita. Hipster-Heinz blickt zwischen beiden hin und her. Grossvater fragt derweil nüchtern: «Was legen wir denn dann unter den Weihnachtsbaum?» und Oma Liselotte beginnt zu weinen. Anita ist wütend auf Hipster-Heinz: «Das hast Du jetzt davon, dass Deine Tochter einfach immer sagen darf, was sie sie gerade denkt!» – Heinz entgegnet: «Sie hat doch nur gesagt, dass Sybille gesagt hat, dass die sich nichts schenken!» Anna läuft zu Omi Liselotte und umarmt sie: «Warum weinst Du denn Omi? Wir haben doch immer noch die Geschenke, die der Weihnachtsmann bringt!» Jonas blickt mit einem vielsagenden Grinsen zu Hipster-Heinz und deutet auf den Katalog mit den Weihnachtsmann-Kostümen. «Dann ist ja alles gut! So ein Glück, dass es den Weihnachtsmann gibt!» Grossvater erhebt sich aus dem Sessel, um Holz auf den Kamin zu legen. Er blickt sich im Zimmer um: An einen derart aufregenden Ersten Advent kann er sich nicht erinnern.