Vor ungefähr 30 Jahren lebte ein Junge mit Namen Daniel in einem kleinen Bergdorf. Daniel war 7 Jahre alt, als er zum ersten Mal ganz allein einen Schneemann baute. Er hatte fast den ganzen Vormittag am Schneemann gebaut, mit einem Hocker hatte er den Kopf aufgesetzt. Zuvor hatte er einen grossen Tannenzapfen für die Nase, zwei kleine für die Augen, Steine für den Mund und die Knöpfe gesammelt. Seine Mutter hatte ihm eine alte Pfanne ohne Griff als Hut gegeben und den rot-weissen Schal hatte er seiner grossen Schwester Ruth stibitzt. Sie trug ihn eigentlich sowieso nicht mehr.
Nun stand der Schneemann da, gross und mit einem schiefen Grinsen. Daniel hätte ihn fast ein bisschen gruselig gefunden, hätte er ihn nicht selbst gebaut. «Mama!», rief er, «Mama, schau, wie toll mein Schneemann geworden ist!» Seine Mutter kam ohne Jacke hinaus und lobte Daniel für den selbst gebauten Schneemann. «Jetzt musst du aber auch mal wieder reinkommen, ich mache dir einen Tee für deine kalten Hände.» Widerwillig ging Daniel hinter seiner Mutter hinein – nicht ohne noch einen Blick auf seinen Schneemann zu werfen. «Ich nenne dich Karl», flüsterte er.
Nachdem er seinen Tee getrunken hatte, kam seine Schwester von einer Freundin zurück und regte sich zuerst furchtbar über den neuen Nutzen ihres Schals auf. Doch nach ein paar Minuten und Beruhigen ihrer Mutter trällerte sie wieder über ihre Erlebnisse.
Karl wollte gern wieder hinaus und seine Mutter liess ihn, aber nur für eine Stunde. Denn dann waren sie bei Grossmammi eingeladen. Er verfeinerte noch schnell die Arme des Schneemanns und sprang um ihn herum.
Der Nachmittag bei Grossmammi wollte jedoch gar nicht vergehen. Erst im Dunkeln waren sie wieder zurück, denn sie brachten Ruht noch zu einer Freundin, sie übernachtete dort. Und nach dem Abendessen sollte er direkt schlafen. Aber er war viel zu aufgeregt. Vor dem Schlafengehen schaute er noch einmal hinunter zum Schneemann. Er stand noch genau so dort, mit dem schiefen Grinsen. Beruhigt ging er ins Bett.
Am Morgen musste seine Mutter kurz aus dem Haus und er hatte Zeit, wieder um den Schneemann herumzutanzen. Doch – was war das? Das Grinsen war nicht mehr schief. Hatte Ruth gestern etwa an seinem Karl herumgefummelt? Er spürte, wie er wütend wurde. Der würde er nachher aber die Meinung sagen!
Und das war noch nicht alles: Der Schal war ganz anders gebunden als gestern! Viel ordentlicher, als er es geschafft hatte. Naja, immerhin hatte sie das besser hinbekommen. Trotzdem!
Er nahm den Hocker von gestern und stieg darauf, um genau zu überprüfen, ob sie noch etwas an seinem Schneemann geändert hatte.
Er nahm einen kleinen Tannenzapfen, der ein Auge darstellte, weil er ihn richtig befestigen wollte, nur zur Sicherheit. Da machte es plötzlich «Aua!» und Daniel fiel rückwärts vom Hocker in den Schnee. In dem Moment fuhr seine Mutter auf den Hof und sah Daniel im Schnee liegen. Sofort lief sie auf ihn zu «Ist alles in Ordnung? Tut dir etwas weh?» «Nein, es geht schon.»
Ein bisschen tat ihm sein Po schon weh, aber das wollte er nicht zugeben. Sein Herz raste noch immer und er konnte die Augen nicht vom Schneemann lassen. Hatte er sich das nur eingebildet? Zu gerne hätte er dem Schneemann das Auge wieder eingesetzt, aber seine Mutter bestand darauf, dass er sofort hinein käme. Er könnte ja nach so einem Sturz auch eine Gehirnerschütterung haben.
Vom Küchenfenster aus beobachtete er seinen Schneemann, aber nichts regte sich. Er musste es sich eingebildet haben. Aber als seine Schwester nach Hause kam und Daniel ihr vorschrieb, dass sie nichts an seinem Schneemann zu suchen habe, beteuerte sie, dass sie seinen blöden Schneemann nicht angefasst habe. Wann hätte sie das auch machen sollen?
Er war verwirrt. Sie musste es gewesen sein. Papa geht immer über den Hintereingang heraus und hinein. Mama war es bestimmt nicht und er selbst ja auch nicht. Aber sie sagt, sie hat Karl nicht einmal berührt. Was war also passiert? «Kann es denn möglich sein…? Nein, Blödsinn, unmöglich. Und wenn doch…? Nein, ich bin doch kein Baby mehr… Aber…»
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