Die Marktindex-Autorin Sabine Simmen hat drei kleine Jungs im Alter von 6 Monaten bis 4 Jahren und schreibt hier regelmässig über ihren turbulenten Alltag.
Das grosse Kassentheater
Bühnenbild: Eine Migros-Kasse irgendwo in der Schweiz. Beengte Platzverhältnisse. Es ist 17.30 Uhr an einem Wochentag.
Protagonist: Ein Kind, zirka 3jährig. Am Boden liegend und laut kreischend. Weil es irgendwas Süsses will und gerade nicht bekommt.
Nebendarsteller: Mutter des kreischenden Kindes mit vollem Einkaufswagen und quengelnden Baby-Bruder des kreischenden Kleinkindes auf dem Arm. An der Spitze der langen Schlange an der Kasse mit dem Portemonnaie in der Hand.
Zuschauer: Viele genervte Einkäufer in der Schlange hinter der Mutter. Manche sind genervt, weil der Tag mühsam war, andere weil der Chef ein Tubel ist. Und der Rest ist genervt, weil das Wetter gerade zu heiss oder zu kalt ist. So oder so ist keiner wirklich erfreut ab dem kreischenden Kleinkind und der zaudernden Mutter – denn dies trennt sie noch länger von Feierabend mit Reality-TV, Bier und den eben gekauften Husaren-Rindsspiessli.
Diese Szene, wie sie Shakespeare klassischer nicht hätte inszenieren können, hat wohl jeder von euch schon einmal miterlebt. „Komm Mutter, gib dem Kind doch einfach was es will und nerv nicht mit deiner Pseudo-Konsequenz“, dachte ich jeweils bevor ich selbst Kinder hatte.
Aber jetzt sieht die Situation natürlich anders aus. Jetzt weiss ich nämlich: Bei dieser grossartigen oben beschriebenen Szene geht es um viel mehr als um „Pseudo-Konsequenz“. Es geht nämlich um die klassische Frage von Sein oder Nicht-Sein. Es geht um die Demonstration der Machtverhältnisse. Es geht um die Erhaltung der Hackordnung zwischen Kind und Elternteil. Gibt man nach, hat man verloren. Bleibt man konsequent, gewinnt man. Denn Konsequenz im Umgang mit den lieben Kleinen ist wichtig. Gibt man immer nur nach, gerät das Kind durch die zu lasche Erziehung vielleicht auf die schiefe Bahn und wird Drogen-Dealer. Oder macht bei der Bachelorette mit. Oder noch schlimmer: Beides zusammen!
Ich scherze. Klar ist es wichtig dem Kind klare Regeln mitzugeben und diese umzusetzen. Natürlich ist es falsch, wenn ein Kind merkt: Ich muss nur laut genug schreien, dann bekomme ich alles was ich will. Aber anderseits ist es meiner Meinung nach auch eine Sache des Abwägens.
Ich zum Beispiel wohne in einem noblen Quartier, bevölkert von gut erzogenen, angenehm ruhigen Kinder und vielen älteren Menschen. Das noble Quartier verfügt über einen kleinen Einkaufsladen, der über sehr beengten Verhältnisse im Bereich der Kasse verfügt. Nun neigt leider mein mittlerer Sohn zu Cholerik und bühnenreifem Drama wenn es um den Erhalt von Überraschung-Eiern geht. Was tue ich also in meinem noblen Quartier mit den gut erzogenen, angenehm ruhigen Kindern und den vielen älteren Menschen in der Enge unseres Quartier-Ladens, wenn die Zeitbombe von einem Dreijährigen zu ticken beginnt? Ich flüstere ihm zu, dass ich noch ganz viele Überraschungs-Eier zu Hause habe und die sogar noch viel besser sind, da sie im Kühlschrank lagern und viel coolere Spielsachen drin haben. Und wenn er sofort aufhört durchzudrehen, kriegt er so eins zu Hause. Das funktioniert fast immer. Und das noble Quartier, dass mein Geflüstere nicht gehört hat, ist begeistert von meinen Erziehungsmethoden und meinem angenehm ruhigen Sohn.
Ist denn das nun Konsequenz oder feiges Nachgeben? Das ist wohl Ansichtssache. Und wenn mein Sohn nur dadurch doch auf den falschen Weg kommt und im Reality-TV mitmacht, dann bin ich sicher, dass sich die Bachelorette für ihn entscheidet. Denn wie er bekommt, was er will, das weiss er dank mir nur zu gut.