Lärm ist subjektiv

Der Laubsauger im Park kann für den einen unerträglich laut sein, ein anderer, der nicht gut hören kann, fühlt sich nur etwas belästigt. Die Tatsache, dass jedes hörende Lebewesen Geräusche individuell wahrnimmt, führt leider manchmal sogar zu Streitigkeiten, die erst durch einen Polizeieinsatz beendet werden können. Das Ungeborene jedoch kann sich gegen verletzend wirkende oder empfundene Beschallungen nicht durch einen Hilferuf wehren, es ist den Verhaltensweisen seiner Mutter ausgeliefert. So wird in Foren für Schwangere immer wieder die Frage gestellt: Wie viel Lärm verträgt mein Kind? Mitunter scheint es, als ob eine Art Absolution für den geplanten Besuch des (ggf. noch elektronisch verstärkten) Konzerts oder die Mitwirkung in einem laut spielenden Musikensemble als Schwangere gesucht wird, und dass jede Antwort im Sinne von «Das macht dem Kind nichts aus» allzu gern angenommen wird – vorwiegend dann, wenn der betreffenden Mutter selbst die lauten Geräusche Freude bereiten.

Gefahren wurden unterschätzt

Aber wie steht es wirklich um die Lärmempfindlichkeit von Ungeborenen? Die Antwort mag manchen erstaunen: Man weiss es nicht genau (zumal die wenig tierfreundlichen Versuche eben nicht am Menschen gemacht wurden), geht aber davon aus, dass frühere Entwarnungen falsch waren. Beispielsweise gab es die Meldung, dass die Geräusche im menschlichen Mutterleib (z. B. des Blutstromes) so laut wären, dass sie akustische Einwirkungen von aussen übertönen würden. Tatsächlich hängt der intrauterine (gebärmutterinterne) Schallpegel entscheidend von der Messstelle ab: In Nähe des Kopfes des Ungeborenen wirken die Schallwerte des mütterlichen Blutstromes wesentlich leiser als an anderer Stelle nahe der Plazenta (Mutterkuchen), wo es erheblich lauter zugeht. Und der Anmerkung, dass Fruchtwasser dämpfen würde, ist gegenüberzustellen, dass Wasser sehr gut Schallwellen überträgt. Fest steht, dass extreme Schallimpulse von aussen, denen sich die Mutter aussetzt, nicht nur bei ihr, sondern auch bei ihrem ungeborenen Kind zu schweren Schädigungen des Gehörsystems führen können und ab einer gewissen Lautstärke sicher führen werden.

Der Verzicht zum Wohl des Kindes

Im Freizeitbereich bedeutet für eine Schwangere der Verzicht auf laute, für sie unterhaltende Events nur eine neunmonatige harmlose Zurückhaltung beim (vielleicht bisher gewohnten) Lebensstil. Für das Kind, das sie in sich trägt, ist das Verhalten seiner Mutter während dieser neun Monate für sein ganzes weiteres Leben mitbestimmend, und unter einer Verletzung seines Gehörs als Embryo durch unvorsichtiges Verhalten der Mutter hätte es lebenslang zu leiden. Daher kann nur appelliert werden, Rücksicht auf mögliche Gefahren durch Lärm für das Ungeborene zu nehmen und besser einmal mehr auf Konzerte, laute Partymusik usw. zu verzichten, als dem Kind eine lebenslängliche Beeinträchtigung zuzumuten. Es sei auch bedacht, dass sich die Entwicklung des Hörsystems beim Embryo fast über die gesamte Dauer der Schwangerschaft erstreckt und dass ein frühes Stadium nicht bedeutet, dass keine Schädigung möglich wäre.

Ein Umdenken gibt es auch im Bereich der Ultraschalluntersuchungen: Mediziner vermuten durch sie eine akustische Belastung von rund 100 Dezibel – vermutlich der Grund dafür, dass sich die Ungeborenen bei den Untersuchungen öfter bewegen. Das ist nicht als fröhliches Zuwinken zu den Eltern am Monitor zu deuten, sondern eher als Abwehrreaktion gegen den Lärm.