Walter Meier, geboren 1952 in Luzern, wohnt in Hergiswil am See. Schriftsteller, Lehrer, Lebenskünstler, Querdenker, engagierter Pädagoge und grosser Menschenfreund. Halbmarathonläufer mit einem obligaten «Bierstop» vor dem Storchen, seiner Stammbeiz. Ausserdem beseelt von der deutschen Fussballnationalmannschaft (der Männer) und grösster Schweizer Fan der Schwarz-Rot-Goldenen.

Buchautor von «Der Nestbeschmutzer» (1998), «Meine Schwester» (2007), «Elwis und Laura» (2012) und «Schule in Ketten» (2017). Walter Meier, eine wandelnde Wundertüte, der diese in jeder Ausgabe des marktindex.ch-Booklets ein wenig öffnet. Buchbestellungen: www.walmei.ch


Meine Sonnenbrille, mein Ein und Alles. Seit Jahren das Stück, das ich nicht missen möchte. Nicht erwähnenswert, und doch – gedacht als Klarstellung – dies mit Ausnahme meiner Frau. Nun, wir sind in den Ferien. An einem Ort, an dem Mann sein Lieblingsteil so richtig ins rechte Licht rücken kann. Wynwood, Miami, Florida. Was sich unter keinen Umständen ereignen darf, es passiert: runtergefallen, draufgetreten, kaputt!

Die Phase der Trauer ist vorbei, auf geht’s. Auf, auf die Suche nach einer Neuen. Nehme vorab zwangsläufig Rücksprache mit Sophia. Eisern schwört sie mich darauf ein, mir ja kein Teil «Made in China» zu besorgen. Um jeder möglichen Konfrontation aus dem Wege zu gehen, nehme ich ihre ultimative Aufforderung wohlweislich zur Kenntnis.

Zufall oder nicht, vor uns ein Marktstand mit Uhren, Armbändern und … Sonnenbrillen. Im Hintergrund eine attraktive, überaus freundlich gesinnte Verkäuferin. Breites Lächeln, in der Folge das inhaltslose «Welcome, nice to meet you!» Da, am äussersten Rand des Tisches! «Made in Italy», 35 Dollar. Für mich mein neues Lieblingsstück, für Sophia 5 Dollar zu teuer. Selbstbewusst übernimmt sie die Gesprächsführung. Kramt 30 Dollar hervor, ist festen Willens, den Deal zu tätigen. Nicht so die Verkäuferin. 35 Dollar plus die obligaten Taxen von Miami, von Florida und von den Vereinigten Staaten.

Suche mir den schattigsten Gehweg von Wynwood, ohne Sonnenbrille. Beim belanglosen Überqueren einer Nebenstrasse, ein Blitz aus heiterem Himmel. Knapp zwei Meter vor uns, ein blassschwarzer Offroader, ein Ungetüm der ganz besonderen Art. Vollgas, das Quietschen der Reifen, ein abruptes Bremsmanöver. Das Pärchen, kurz zuvor Hand in Hand vor uns gegangen, liegt am Boden. Seitwärts angefahren, von der Motorhaube brutal hochgeschleudert. Hektisch herbeieilende Leute, ein Wirrwarr an Gesprächsfetzen. Mittendrin der unter Schock stehende Lenker. Handys, Notrufe. Heulende Sirenen, Polizei, Krankenwagen.
Abseits stehend beschäftigen wir uns mit der Art von Fragen, auf die niemand eine Antwort weiss. Wieso die Beiden, wieso nicht wir?

Sophia drängt’s zurück zum Marktstand. Was vor ein paar Minuten nicht möglich war, jetzt geht’s reibungslos über die Bühne. Kein Feilschen, 35 Dollar plus Taxen. Ihr Geschenk wird mir auf ewig und immer in Erinnerung bleiben. In dem Sinne, dass man sich heute was gönnen soll, denn, wer weiss, was morgen sein wird. Kann auch schon mal eine Sonnenbrille sein …