Interview mit Silvio «Jimmy» Panizza

Ein Fasnächtler. Ein kreativer Chaot. Herausgeber und Autor von bis heute 48 Ausgaben «De rüüdig Fasnachtsfüerer». Mitautor und Herausgeber von vier Fasnachtsbüchern «Faszination Lozärner Fasnacht». Gründer des legendären Tschäderi Bumm Balls im Hotel Union. Oberehrenbock der Künstlervereinigung Bockstall, denen er den Weg aus der Vergessenheit geebnet hat. FCL-Fan, Mitglied der Zunft zu Safran. Realisator von unzähligen, mehr oder auch weniger erfolgreichen visionären Projekten wie: 10’000 FCL Kalender zum 100-jährigen Jubiläum, ein Modeball in Luzern, Sexy-Ball im Zeus und vieles mehr. Unermüdlicher Leserbriefschreiber und Träger des «weltweit einzigen Goldigen LZ-Orden für ein rüüdig-verrecktes Lebenswerk» überreicht von Jérôme Martinu, Chefredaktor der «Luzerner Zeitung». Kurz: Ein Luzerner «Tausend sassa» der auch heute noch, trotz seiner angeschlagenen Gesundheit, noch einige Ideen «in petto» mit sich herumträgt.

Zum 48. Mal «De rüüdig Fasnachtsfüerer». Erzähl uns wie diese Erfolgsstory begonnen hat.

Alles begann mit einem Telefonanruf meines Fussballkollege Max Vogel, der in der Luzerner Fasnachtsszene einen Fasnachtsführer vermisste. Ein Almanach, der die Luzerner Fasnächtler jedes Jahr informieren sollte, wo und wann die verschiedensten Aktivitäten der Zentralschweizer Fasnacht stattfinden. Diese Idee fand bei mir schnell ein offenes Ohr und so warfen wir 1973 den ersten «Luzerner Fasnachtsfüerer» (wie De rüüdig Fasnachtsfüerer anfänglich hiess) auf den Luzerner Fasnachtsmarkt. Nach zwei Jahren, als bei Max die Liebe einschlug und er sich mehr seiner Sonja, der Tochter des Wirtes vom Isebähnli an der Baselstrasse, widmete, überliess er mir seine Idee und damit auch gleich die ganze Arbeit. Ich habe es nie bereut. Ganz behutsam führte ich das neue Produkt in die Vor- und Haupttage der Lozärner Fasnacht ein. Ich hegte und pflegte ihn mit grossem Enthusiasmus und «putze hunderte von Klinken» um an Inserate zu kommen, die auch heute noch, das Überleben des Fasnachtsführers ermöglichen. Bald einmal hiess es in Luzern: Wer wissen will, was an der Zentralschweizer Fasnacht läuft, kommt um den «Rüüdigen Fasnachtsfüerer» nicht herum. Wegen meinen Geschichten, die manchen Sinn oder Unsinn aufdeckt und den damit verbundenen Ordensverleihungen ist er noch immer aus der Lozärner Fasnacht nicht wegzudenken. Das macht mich stolz und ich hoffe, dass es mir meine Gesundheit erlaubt auch noch in der 50. Auflage meine «Roschtigen-Guggis, die «goldigen Gygen» oder den begehrten «Goldig Satire Orden» an verdiente Fasnächtler, fasnächtliche Projekte oder an die wenigen «Miesepeter» dieses alten Brauches, zu verleihen. Es wird nicht leicht, Facebook, Twitter, Instagram & Co nagen am Inserate-Kuchen der immer kleiner wird. Und doch bin ich sicher, dass mein «Who is Who» der Lozärner Fasnacht für nur «föif Stutz» den Weg in die Hosentaschen und Handtäschchen der Zentralschweizer Fasnächtlerinnen und Fasnächtler finden wird.

Ich höre aus deinen Worten, dass du den «Rüüdigen Fasnachtsfüerer» keinesfalls zu Grabe tragen willst, aber dass du dir Sorgen über deine Gesundheit machst?

Das ist so. Leider behindert mich der leidige Mister Parkinson beim Schreiben am Computer. Du kannst dir vorstellen, wie umständlich es ist, wenn du beim Schreiben ab und zu die falsche Taste drückst und dann umständlich suchen musst wohin der letzte Satz oder der ganze Artikel verreist ist. Klar mache ich mir Gedanken was mit meinem Werk passiert. Diese Quizfrage wurde mir schon einige Male gestellt. Es gab auch schon eine Anfrage, die zu einem Verkauf hätte führen sollen. Aber als der Interessent merkte, dass ich im Vorfeld über 600 Briefe verschicke, um an Inserate und Daten zu kommen und ich mehr Herzblut investiere als ich Geld verdienen kann, zeigte er mir schnell einmal seine Rückseite.

Ich bin sicher dir wird eine geeignete Lösung einfallen, denn ich kenne dich nicht nur als Mitbegründer des «Rüüdigen Fasnachtsfüerer» sondern auch als Initiant des weit über Luzerns Grenzen hinaus bekannten Tschäderi Bumm Balls.

Das waren noch Zeiten. Ich weiss noch wie ich im 10.Jahr der TBM den Vorschlag brachte einen Maskenball im legendären Hotel Union zu organisieren. Es waren lange nicht alle Tschäderi-Bummser hellauf begeistert. Zusammen mit 15 Gleichgesinnten, die alle 200 Franken auf den Tisch legten, gründeten wir ein Konsortium. Das Geld stellte einigermassen sicher, dass wenn die Idee baden geht, mindestens die Musiker zu ihrer Gage kommen. Kurz gesagt, der Ball schlug ein wie eine Bombe. Rund 1000 Maskierte sorgten jahrelang für einen Maskenball, der seinen Namen verdiente. Wir hatten ein sehr gutes Konzept. Der Ball war bekannt für seine langen Baren und den schönsten Barmaids. Für eine Nacht verliessen diese ihre angestammten Wirkungsstätten noch so gerne, um am Tschäderi Bumm Ball dabei zu sein. Dass sie dabei auch noch ihre Stammgäste mitschleppten, kam ihrer und unserer Kasse nur zu gut und sicherten dem Konsortium jedes Jahr Städte- und Kulturreisen nach Budapest, Warschau, Prag und so weiter. Mit dem Verkauf und der Umnutzung des Hotel Union fing die Zeit des grossen Sterbens der Maskenbälle an. Nach Zwischenhalten im Kunsthaus oder im Hotel Flora wurde der TBM-Ball Legende. Er war nicht allein. Auch der Fidelitas- und der Noggelerball, der Bü-Tu-Ball und viele andere mussten dem neuen Trend der Fasnachtspartys in den umliegenden Gemeinden weichen. In der Stadt verlagerte sich das Fasnachtsgeschehen, auch wegen des Fehlens geeigneter Säle, auf die Strasse. Ich vermisse heute das Integrieren der Masken, die mit viel Witz manch einen Mann im dunklen Anzug auf das Glatteis führen konnten. Ich erinnere mich noch an die Geschichte meines Freundes Teddy Hammer, der sich am TBM Ball den ganzen Abend um eine hübsche Maske bemüht hatte, einige Cüplis springen lies und um 24 Uhr , bei der Demaskierung, mit Schrecken erkennen musste, dass er den ganzen Abend mit seiner eigenen Schwester verbracht hatte.

Deine Liebe zu den Maskenbällen hat dich nicht gehindert auch noch vier Fasnachtsbücher, über alle Facetten, die die Lozärner Fasnacht bietet, zu veröffentlichen. Was hat dich da geritten?

Durch die Arbeit am Fasnachtsführer bin ich immer mehr in diese Szene eingetaucht und habe bemerkt, dass es ganz wenig Literatur über dieses mächtige Brauchtum gibt. 1988 habe ich diese Lücke mit dem ersten Band «Faszination Lozärner Fasnacht: «Die Guuggenmusigen», zusammen mit dem Luzerner Journalist Lorenz Fischer geschlossen. Jede Guggenmusig konnte sich auf einer Seite für 100 Franken verewigen. Das Konzept stimmte, denn fast jeder wollte das Buch, das ihn und seine Musig zeigte und vorstellte, kaufen. 1989 kam der 2.Band «Geschichte, Zünfte, Umzug, Fasnachtsbälle» auf den Markt dem 1996 der Band: Brauchtum und Fasnachtskunst folgte. Das letzte Buch in dieser Reihe (2005) zeigte die Guggenmusikszene der ganzen Zentralschweiz. Leider viel ein grosser Teil dieser Auflage, im Lager der Druckerei, der grossen Überschwemmung in Emmen zum Opfer. Der Band stand auch sonst nicht unter einem günstigen Stern. Ich erinnere mich noch an eine Episode in Zug. Ich hatte einen Saal gemietet, um mit den dortigen Guggenmusigen den Kontakt aufzunehmen. Leider hatte ich nicht beachtet, dass zur gleichen Zeit Spiele der Fussballeuropameisterschaft übertragen wurden. Fazit: «kei Knoche esch cho»!

Wenn wir schon über Anlässe von dir reden, die nicht grossen Anklang gefunden haben, wir war das mit dem Ball im Zeus in Küssnacht?

Ich kannte den Werberater dieses Saunaclubs und hatte die verrückte Idee einen Ball in dieser Ambiance zu organisieren. So nach dem Motto: Das hat es noch nie gegeben oder wer nicht wagt gewinnt nichts. Trotz einem wunderbaren Plakat von Cornelia Castelli stellte es sich heraus, dass die Zeit für einen sexy Ball noch nicht reif war. Die Lokalzeitung zerriss den Versuch in tausend kleine Stücke. Trotzdem wurde der Ball im amourösen Ambiente um die Figur Zeus und seinen rassigen Girls, dank einiger Stammgäste und einiger mutigen neutralen Besuchern, ein Erfolg.

Zu deiner Passion Fasnacht gesellt sich auch noch eine andere grosse Neigung. Unser FC Luzern. Warum?

Wenn ich auch nie ein ganz guter Fussballer gewesen bin, hat mich das nie gehindert ein treuer Fan unseres FCL zu sein. Schon als ich im Luzerner Reklamebüro Haverkamp, das für den FCL in Sachen Werbung tätig war, meine Sporen als KV-Lehrling abverdient habe, bin ich jedes Mal fast ausgeflippt, wenn der damalige Trainer, der grosse Rudi Gutendorf, bei uns auftauchte. Ich verteilte Matchprogramme und fieberte bei jedem Spiel mit. Viel später 2001. Der FCL feierte sein 100-jähriges Bestehen und stand kurz vor einem Konkurs, meldete ich mich beim damaligen Präsidenten, Jules Häfliger, mit der Idee eine Chronik in einen Kalender zu packen. Mit einer Auflage von 10000 Stück zu 100 Franken, eine gute Gelegenheit die marode Kasse zu füllen. Die Idee gefiel. Kurze Zeit später kam mir aber zu Ohren, dass Raimond Ponte, der damalige Trainer der 1.Mannschaft auch einen Kalender plante. «Spennt denn dä» war meine Reaktion und auch die Aussagen von Ponte, sein Kalender basiere auf einem ganz anderen Konzept, konnte mich nicht beruhigen. Meine Befürchtungen, dass sich zwei Kalender zu fest konkurrieren haben sich dann leider bewahrheitet. Für beide Produkte verlief der Verkauf eher enttäuschend.

Das nennt man dann wohl, ein Eigentor. Aber du hast dich für deinen FCL auch sonst engagiert. Deine Leserbriefe über den FCL sind ja beinahe legendär.

Ich schreibe gerne. Und wenn mich ein Thema packt dann «krippelt» es in den Fingern und ich muss meine Meinung zu Papier bringen und versuchen in der Rubrik, Leserbriefe, einen Platz zu ergattern. Das muss aber nicht nur das Thema FCL betreffen. Ich schreibe gerne auch über Politik, Kultur oder Fussball und habe so meine Meinung schon in über hundert Leserbriefen ausgedrückt. Leider darf ich unserer Zeitung nicht jede Woche mit einem Leserbrief beglücken. Da hört bei den Verantwortlichen der Spass sprichwörtlich auf. Ich habe meine Schreibattacken daher freiwillig auf zwei Briefe pro Monat reduziert.

Jimmy ich danke dir für das Gespräch und hoffe das «marktindex.ch» in zwei Jahren auch über deinen 50. «Rüüdigen Fasnachtsfüerer» oder vielleicht sogar über eine Biografie über dich berichten kann. Silvio «Jimmy» Panizza» das fasnächtliche Gewissen der Lozärner Fasnacht, das wäre doch was!

Interview und Bilder: Heinz Steimann