Heute im Fokus: Die Luzerner Alt-Stadträtin Ursula Stämmer-Horst

Heinz Steimann von marktindex.ch hat die «Macherin» Ursula Stämmer-Horst persönlich getroffen. Entstanden ist ein bewegendes Interview.

Ursula Stämmer: Was hat dich zur Politik gebracht?

Ich bin in einer sozial Luzerner Liberalen Umgebung aufgewachsen. Meine Eltern haben nie über jemanden schlecht gesprochen und haben mich gelernt, dass man mit allen Menschen anständig umgehen sollte. Schon in jungen Jahren hatte ich bemerkt, dass ich mit Autoritäten meine Probleme habe. Als ich in meiner Lehrzeit einen Arzt darauf hingewiesen habe, er solle doch die Hände waschen, hat mich meine Vorgesetzte deutlich darauf hingewiesen, dass sich das als Lernschwester nicht geziemt. Die Schwester sei die Dienerin des Arztes. Solche Erfahrungen haben mich dann bewogen mich dem VPOD (Verband des Personals öffentlicher Dienste) anzuschliessen, in dem ich sehr aktiv gewesen bin. Damals in Wil, (St. Gallen) wo ich gearbeitet habe, hat sich meine politische Ausrichtung noch in die grüne Richtung bewegt. Ich engagierte mich als Präsidentin der Sektion und traf dort den Präsidenten der Sektion Luzern der Gewerkschaft VPOD, Paul Huber, wieder. Nach meinem Umzug nach Luzern, ich war noch nicht Mitglied der SP, wurde Paul Huber in den Luzerner Regierungsrat gewählt und ich trat dann 1987 der Sozial Demokratischen Partei bei. Kaum angekommen brauchte die Partei noch Personen die sich auf die Liste des grossen Bürgerrates setzen liessen. Dank dem damals grossen Bedarf an Frauen in der Politik, vielleicht auch wegen meiner Tätigkeit als Krankenschwester oder wegen dem grossen Netzwerk meiner Eltern gelang mir auf Anhieb, der Sprung auf den ersten Ersatzplatz der SP-Gewählten den ich darauf mit Heidi Huber, die zurück nach Basel ging, im grossen Bürgerrat tauschen konnte. Wieder als erster Ersatz rutsche ich im Jahr 1992, für Werner Jöri der in den Nationalrat gewählt wurde, in den Grossen Rat der Stadt Luzern. In den nächsten acht Jahren im Grossrat, wo ich in verschiedenen Kommissionen, Spital, Landwirtschaft, Umwelt, arbeitete, konnte ich meine politischen Erfahrungen vertiefen. 1995 wurde ich SP-Parteisekretärin und wurde, als Baudirektor Werner Schnieper zurücktrat, von der Partei, hauchdünn mit einer Stimme mehr, für die Wahlen in den Luzerner Stadtrat nominiert und dann 2000 in den auch gewählt.

Als bürgerliche Sozialdemokratin oder als Sozialdemokratin mit liberalem Hintergrund?

Ich bin in einem sozialliberalen Umfeld aufgewachsen, habe aber mit meiner Partei, der SP, immer ganz klar links politisiert.

Was für Ämter hast du bekleidet?

Bis 2012 leitete ich die Direktion Sicherheit und Umwelt und wechselte danach in die Bildungs- und Kulturdirektion.

Was für Highlights deiner Zeit im Stadtrat sind dir in Erinnerung geblieben?

Da schaue ich gerne mit Stolz auf einige gelungene Projekte im öffentlichen Raum zurück.

Stichworte, der Kampf gegen das Littering, dem leidigen Wegwerfen und Liegenlassen von Abfall, die Eröffnung der zwei Sommerbars «Buvette» und «Volière» im Inseli oder auch die Gründung der damals sehr umstrittenen unbewaffneten Einsatzgruppe SIP im Jahr 2005 die viel zum friedlichen Zusammenleben im öffentlichen Raum beiträgt. Eine besondere Genugtuung die auf meine Fahne schreiben darf, ist sicher auch, dass die Stadt Luzern 2009 durch den «Trägerverein Energiestadt» das Energielabel Gold erhielt (mit dem GOLD-Award krönen Energiestädte ihr Engagement für eine nachhaltige Energiezukunft). Ich erinnere mich sehr gerne noch an mein Amt als OK-Präsidentin des Eidgenössischen  2008. Ich war mit viel Herzblut dabei und sang sogar im Heimatchörli mit. Ein unvergessliches Erlebnis das an der Luzerner Fasnacht, mit einem auf dieses Ereignis zugeschnittenen Fasnachtsumzug, sein grandioses Ende fand. Auch die 10 Jahre Zusammenarbeit mit dem Team Studer, Müller, Bieder, Meier, Stämmer war eine sehr schöne und wichtige Zeit für mich, in der ich sehr viel gelernt habe und selber auch etwas beitragen durfte.

Zu Highlights gehören erfahrungsgemäss auch Enttäuschungen?

Sicher. Eine besondere Enttäuschung für mich war die fast diskussionslose Abgabe der Stadtpolizei an den Kanton. Es gibt andere Städte, wie St. Gallen oder Zürich, die die Zeichen der Zeit erkannt haben, wobei ich nicht sagen will, dass die Polizei heute jetzt schlecht funktioniert. Eine zweite war die Entwicklung im Kulturbereich. Ich habe mich für die Salle Modulable sehr engagiert. Es war ein anspruchsvolles Projekt das viele überfordert hat. Vielleicht war es zu schnell da, vielleicht haben wir am Anfang nicht ganz klar gesagt, was für Bedingungen wir stellen. Wir haben uns da auch von aussen, ich sag es mal so, einfach «lo gänggele».

Nicht «lo gänggele» hast du dich als du als Polizeidirektorin veranlasst hast 245 Demonstranten im Vögeligärtli festzunehmen, was deine Partei mit Entsetzen wahrnahm.

Ich weiss nicht mehr ob es 245 Personen waren, aber ich weiss noch heute, dass diese Demo für mich eine sehr schwierige Situation war. Aber manchmal muss man halt als Chefin klar sagen wo der rechtliche Weg hinführt. Die Demonstranten wussten, dass diese Aktion nicht bewilligt wird. Es wurden da aus meiner Sicht junge Leute ganz bewusst manipuliert und ihnen vorgegaukelt, dass im Vögeligärtli ein lustiges Fest steigt, ohne ihnen zu sagen, dass dafür keine Bewilligung vorhanden ist. Wir fanden niemand der mit uns über diese Demo reden wollte. Niemand wollte sich für Verantwortlich erklären, und so endete es dann so, wie es enden musste, auch zu meinem Bedauern im Sonnenbergtunnel.

2012 deine Bewerbung als erste Luzerner Stadtpräsidentin. Enttäuscht?

(lacht) Eine Enttäuschung war es nicht, es war eine besondere Situation. Als Stefan Roth angetreten ist war es für mich als SP-Frau klar, dass ich einen Gegenpunkt setzen muss. Darum hat mich das Resultat in keiner Weise emotional getroffen.

Viel zu reden gibt auch immer die Rente abtretender Politiker/innen. Wirst du dich nun darauf ausruhen?

Es ist richtig. Wir haben eine gute Rente, vor allem, weil ich auch noch wie meine damaligen Kollegen im alten Besoldungstarif eingestuft bin. Ich weiss aber, dass ich in den vergangenen 16 Jahren für die Stadt alles gegeben habe. Ich war immer präsent, habe meine Arbeit mit bestem Gewissen gemacht, nicht alles immer gleich gut, das ist so. Es gilt dabei aber zu bedenken, dass Arbeitszeiten eines Stadtrates oder Stadträtin ein geregeltes Familienleben nicht zulässt und die Angehörigen sie des Öfteren erst spät am Abend erwarten können. So gesehen habe ich keine Mühe mit meiner Rente. Sie ermöglicht mir heute vieles Nachzuholen, was mir bei meiner Arbeit im ständigen Focus der Öffentlichkeit manchmal gefehlt hat.

Im Focus der Öffentlichkeit. Ärgern dich Aussagen wie die eines ehemaligen Grossstadtrates: «die macht jede Seich mit»?

Nein, über diesen Satz nicht. Er hat ja auch ein wenig recht. Ich bin jemand, die nicht immer abwägt, darf oder gebührt sich das. Darf ich verkleidet an die Fasnacht oder darf ich in einem Jodelchörli mitzumachen? Soll ich an den vielen Aperos, die mein Amt mit sich brachte, Wein oder Wasser konsumieren? Ich bin ein fröhlicher Mensch, ich bin gerne in Gesellschaft, ich habe die Menschen gerne und freue mich wenn etwas läuft. Es gibt doch genügend Situationen die Trauer und Frust auslösen.

Du hast jetzt das Amt der Synodalratspräsidentin der Reformierten Kirche des Kantons Luzern angenommen. Musst du nun als ehemalige Politikerin anfangen zu glauben?

Ich habe auch als Politikerin den Glauben nicht verloren. Meine Vorfahren stammen aus dem Kanton Bern und Schaffhausen und meine Grossmutter stammte aus Rumänien. Ich bin reformiert aufgewachsen und meine Eltern haben sich gerne freiwillig für die Kirche eingesetzt.  Wir sind zwar nicht jeden Sonntag in die Kirche gegangen, viel mehr hat man uns auf einer Bergwanderung angetroffen. Trotzdem war die Kirche, zwar nicht das Zentrum, aber doch ein Teil unseres Familienlebens.

Muss die neue Synodalratspräsidentin nun auf ihre Auftritte als Hexe oder «Määrtfrauali» an der Fasnacht verzichten?

Sicher nicht. Wir wissen ja dass die Reformation in Luzern nicht stattgefunden hat. In Luzern haben auch viele reformierte die Festfreude an der Luzerner Fasnacht im Blut, somit ist für mich Fasnacht und Kirche überhaupt nicht widersprüchlich. Gott hat auch Humor gezeigt und an der kürzlichen Amtseinsetzung der Behörden habe ich gesagt: «dönd om gotteswelle de Humor ned vergässe», denn bin überzeugt das es mit einer gesunden Portion Humor vieles leichter geht.

Was kommt dir nach 16 Jahren im Stadtrat spontan in den Sinn?

Es war eine gute Zeit und ich konnte sie geniessen. Ich habe sehr viel gelernt und die Arbeit an Ideen vom Anfang bis zu Ende war erfüllend und interessant. Schade dass meine Mutter dies nicht mehr erleben konnte, da viel zu früh gestorben ist. Ich konnte in Luzern vieles bewegen, einiges ist mir leider nicht gelungen. Insgesamt gehe ich mit einem guten Gefühl an diese Zeit in einen neuen Lebensabschnitt.

Interview und Fotos von Ursula Stämmer: Heinz Steimann

marktindex.ch und Heinz Steimann danken Ursula Stämmer herzlich für das spannende Interview und wünschen ihr alles Gute bei ihren Vorhaben.