VEBO Genossenschaft: (Wieder-)Eingliederung in die freie Marktwirtschaft

Menschen mit einer Behinderung – sei sie geistig oder körperlich – haben es nicht leicht sich im Arbeitsmarkt zu integrieren. Dabei hätten besonders Personen mit einem Handicap ein grosses Bedürfnis nach einem geregelten Arbeitsalltag, festen Strukturen, Integration und einer sinnvollen Tätigkeit. Die VEBO-Genossenschaft bietet diesen Menschen einen Arbeitsplatz und gibt ihnen die Chance, sich als ein nützliches Mitglied der Gesellschaft zu fühlen. Marktindex sprach mit René Giger, Leiter der VEBO Elektronik Werkstatt in Oensingen (SO) über hochmotivierte Arbeitskräfte, was die Integration von Menschen mit Behinderung erschwert und was wir alles von ihnen lernen können.

Herr Giger, wie bezeichnen Sie Menschen mit einer Behinderung?

Ich sage «Menschen mit einer Einschränkung» oder einem «Handicap». Das Wort Behinderung vermeide ich, da es eher abwertend klingt.

Was ist bei der Arbeitseingliederung von Menschen mit einer Einschränkung schwieriger als bei Menschen ohne Handicap?

Zunächst muss der Arbeitgeber bereit dafür sein, Menschen mit einer Einschränkung aufzunehmen und sie auch so zu nehmen wie sie sind. Durch die Einschränkungen ergeben sich speziellere Arbeitsbedingungen. Zum Beispiel können einige nur für eine kurze Zeit stehen oder auch nur eine bedingte Zeit eine sitzende Tätigkeit ausführen. Sie sind auf eine wechselnde Haltung angewiesen. Zudem muss der Arbeitgeber einfach damit rechnen, dass es vermehrt zu Ausfällen kommen kann – sei dies aus körperlichen oder psychischen Gründen.

Welche Art der Behinderung haben die Menschen, die bei Ihnen arbeiten?

Bei uns arbeiten Menschen mit körperlichen, psychischen, intellektuellen oder sozialen Einschränkungen. Wir vereinen die verschiedensten Menschen mit den unterschiedlichsten Handicaps unter einem Dach. Nur Blinde Menschen können wir in meiner Abteilung nicht integrieren.

Welche Arbeiten werden in der Werkstatt Elektronik geleistet?

Die Arbeiten, die in unserer Abteilung vollbracht werden betreffen ein sehr breites Spektrum: Von der Materialbeschaffung über das Bestücken, Löten und Reinigen von Leiterplatten, bis hin zu Kabelkonfektionierungen, Verdrahtungen, Gerätemontagen, Qualitätskontrollen und Baugruppenfertigung.

Die Kunst für die Betreuungspersonen ist, die Arbeit so aufzuteilen, dass sie auch für Menschen mit einer Einschränkung zu bewerkstelligen ist. Um die Leistung garantieren zu können, haben wir drei- bis viermal mehr Leute als ein konventioneller Betrieb. Aber schlussendlich müssen auch wir ein qualitativ einwandfreies Produkt herstellen und die Lieferzeiten einhalten – wie jedes andere Unternehmen auch.

Erhalten die Menschen bei Ihnen auch eine Ausbildung?

Ja, wir bieten heute noch Lehren an als Werkstätte-Mitarbeiter in Richtung Elektronik. Leider können wir keine Anlehren mehr anbieten. Das ist mit dem neuen Bildungsgesetz nicht mehr möglich. Wir bilden unsere Mitarbeiter intern aus, jedoch zählt dieser Ausbildungsausweis bedauerlicherweise in der freien Wirtschaft nicht viel. Trotz Qualifikation erschwert dies die Integration von jungen Menschen mit einer Einschränkung.

Wie viele Personen arbeiten in einer VEBO-Elektronik-Werkstatt?

In der VEBO Elektronik-Werkstatt in Oensingen arbeiten etwa 40 Personen. Zehn Personen davon befinden sich in einer IV-Massnahme, beispielsweise zur Abklärung, Aus- oder Weiterbildung oder einer Umschulung. Für dieselbe Arbeit würde man in einer Werkstatt auf dem freien Arbeitsmarkt nur etwa sieben bis acht Mitarbeiter benötigt. Die Arbeiter hier arbeiten durchschnittlich nur mit einer Leistung von 30 Prozent bei einem Pensum von 100 Prozent. Betreut werden sie von mir und zwei Gruppenleitern.

Wo findet die produzierte Ware Verwendung?

Unsere Arbeiten werden als Schweizer Qualitätsprodukte zum Teil bis in die USA exportiert. Wir arbeiten mit verschiedenen Schweizer Firmen zusammen und haben damit sehr gute Erfahrungen gemacht. Die Produkte, die von den Menschen mit Einschränkung hergestellt werden sind auf jeden Fall konkurrenzfähig.

Gibt es Preisunterschiede zwischen VEBO-Produkten und «herkömmlichen» Produkten?

Nein. Wir haben marktgerechte Preise. Wir bieten als Gegenleistung ja auch ein hochwertiges Produkt an. Das einzige, worin wir uns von anderen Anbietern unterscheiden ist, dass wir mehr Arbeiter brauchen, um die handelsübliche Qualität zu erreichen und die abgemachten Liefertermine einhalten können. Schleisslich muss unsere Abteilung schwarze Zahlen schreiben.

Und dafür erhalten Sie aber auch Subventionen…

Wir bekommen keine finanzielle Unterstützung für die Arbeit oder dafür, dass wir billiger produzieren können. Wir erhalten lediglich finanzielle Unterstützung für den Betreuungsaufwand.

Was können wir von Menschen mit einer Behinderung lernen?

Für Menschen mit einer Einschränkung ist es äusserst wichtig, dass sie eine sinnvolle Aufgabe im Leben und eine geregelte Tagesstruktur haben. Wir machen sehr oft die Erfahrung, dass Menschen mit Einschränkung zu sehr guten Leistungen im Stande sind, wenn sie in einer geschützten, toleranten Atmosphäre arbeiten können. Wenn man sieht mit wie viel Freude und Enthusiasmus diese Menschen ihre Arbeit bewältigen, so sollte man sich von diesem Elan und der Schaffensfreude anstecken lassen. Wer Menschen mit einer Einschränkung eine faire Chance im Arbeitsmarkt gibt, wird überrascht sein, wie viel eigentlich in dieser Person steckt.

Sie meinen, dass eigentlich viel mehr Personen mit einer Einschränkung in der freien Marktwirtschaft tätig sein könnten?

Auf jeden Fall! Auf Unternehmensseite müsste eine noch höhere Bereitschaft vorhanden sein, den Mehraufwand für solche Arbeitnehmer auf sich zu nehmen. Das Risiko und der finanzielle Aufwand sind den meisten Firmen noch zu gross.

Zudem muss man leider sagen, dass der hohe Spardruck durch die Politik auch bei Menschen mit einer Einschränkung nicht halt macht. Das ist jedoch der falsche Ort zum Sparen. Werden die betreuten Arbeitsplätze abgebaut, werden die Betroffenen keine Betreuung und geregelte Tagesstruktur haben, dann werden sie irgendwann psychisch oder körperlich krank, weil ihnen der Sinn im Leben fehlt; sie werden nicht gebraucht. Die Kosten für die Behandlung und den Aufenthalt in einer Klinik bezahlt aber schliesslich wieder der Steuerzahler. Und das ist ein Vielfaches dessen, was die Beiträge von betreuten Arbeitsplätzen kostet.

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